Die Bedrohung aus der Vergangenheit

„Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und über 90 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs sind die Gefahren, die von Kampfmitteln ausgehen, noch nicht beseitigt. Leider verhält sich das Wissen um diese Hinterlassenschaften der Weltkriege und der Besatzungsmächte im umgekehrten Verhältnis zur Gefährdung durch den Kriegsmüll“[1].

Diese Feststellungen des Geschäftsführers der Güteschutzgemeinschaft Kampfmittelräumung Deutschland e.V. anlässlich der erstmaligen Aufnahme einer Norm mit der Bezeichnung ATV  DIN 18323 Kampfmittelräumarbeiten in die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (VOB Teil C) als Bestandteil[2] der „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB)“[3] im Jahre 2012[4] stimmen bedenklich. Mehr noch trifft dies zu, wenn man die weiteren Sätze aus der Feder von Rosenberg[5] studiert:

„Das Thema Kampfmittelbeseitigung wird in Studiengängen, Aus- und Weiterbildungen nicht oder nur unzureichend behandelt. Auch mit der fortschreitenden Zeitdauer des unkontrollierten Verbleibs in Boden und Gewässern wird sich dieses Problem nicht lösen, sondern im Gegenteil: Die Gefährdung wird sich durch Verrosten der Stahlhüllen und andere chemische Effekte weiter verstärken“.

Tatsächlich finden sich die hier maßgebend angeführten Stichworte „Kampfmittel“, „Unkontrollierter Verbleib“, „Gefährdungsverstärkung“ und „Boden / Gewässer“ trotz der langen Zeitspanne zwischen dem Ende der beiden Weltkriege 1914 – 1918 und 1938 – 1945 auch heute noch sehr oft in den Medien. Und so vergeht kaum eine Woche, in der nicht im Rundfunk und Fernsehen, im Internet oder in Zeitungen über „Bombenprobleme“ berichtet wird: Von der Evakuierung eines ganzen Bahnhofsviertels oder gesamten Stadtteils, von der oft zehntausende Einwohner betroffen sind. Vom Ausfall von Flügen und Zügen, der einzelne Reisende oft hart trifft oder von der stunden- oder tagelangen Schließung von Geschäften, durch die Existenzen gefährdet werden können. Oder es erfolgt eine Berichterstattung über große Sach- bzw. Gebäude-Schäden und Evakuierungsaktionen[6] bzw. – und noch schlimmer – oftmals auch über Verletzte und immer wieder über Tote[7], die im Zusammenhang mit aufgefundenen Kampfmitteln zu beklagen sind.

Dadurch erfolgt  jedoch zunehmend eine Sensibilisierung für die manchmal tödliche, jedenfalls in den meisten Fällen aber sehr zeit- und finanzaufwändige Kampfmittelproblematik. Plakativ dazu dienen die nachfolgend stichwortartig aufgeführten Vorfälle, die innerhalb nur weniger Monate  sich im Bundesgebiet in jüngster Vergangenheit ereignet und auch die Medien[8] beschäftigt haben, als Beispiele:

  • August 2014, Entschärfung einer 10 Zentner Bombe auf der A3 in der Nähe des Frankfurter Flughafens scheitert, die Bombe musste schließlich gesprengt werden, die Explosion hinterlässt einen 20 Meter langen und bis zu 3 Meter tiefen Krater[9].
  • Januar 2014, Explosion einer Bombe bei Bauarbeiten in Euskirchen, ein Toter, zwei Schwerverletzte, weitere Verletzte, Sachschaden
  • Dezember 2013, Bombenfund am Nürnberger Hauptbahnhof, Schließung des Bahnhofs und umliegenden Bereichs für einen halben Tag
  • November 2013, Bombenfund am Flughafen Stuttgart, Schließung des Flughafens und Sperrung der vorbeiführenden Autobahn A 8 für mehrere Stunden
  • November 2013, Bombenfund in Dortmund-Hombruch, Evakuierung von 20.000 Einwohnern
  • November 2013, Bombenfund bei Fürstenwalde, Sperrung der Autobahn A 12 und der Bundesstraße 168
  • November 2013, Bombenfund in Potsdam, Sperrung der B 1
  • Oktober 2013, Bombenfund in der Nähe des Magdeburger Hauptbahnhofs, Sperrung des Bahnhofs, Evakuierung des Umfelds
  • Oktober 2013, Bombenfund in Frankfurt/Main, Einstellung des Bahnverkehrs
  • Oktober 2013, Bombenfund in Geretsried, Evakuierungen
  • September 2013, Bombenfund in Potsdam, Staatskanzlei wird geräumt
  • September 2013, Bombenfund in Hannover
  • September 2013, Bombenfund in Dresden
  • August 2013, Bombenfund in Hannover, Innenstadt wird evakuiert
  • August 2013, Bombenfund in Bochum
  • August 2013, Bombenfund in Oberhausen
  • Juli 2013, Bombe explodiert bei Gießen
  • Juli 2013, Bombensprengung in Pößneck
  • Juni 2013, Bombenfund in Braunschweig
  • Juni 2013, Bombenfund in Dortmund
  • Mai 2013, Bombenfund in Frankfurt am Main
  • Mai 2013, Bombenfund in Lüneburg
  • April 2013, Bombenfund am Berliner Hauptbahnhof, Sperrung von Bahnhof, Flughafen Tegel, Wasserstraße und Straßen, Evakuierung, tausende Zugreisende konnten ihre Fahrt nicht antreten
  • April 2013, Bombenfund bei Mönchengladbach, Autobahn für mehrere Stunden gesperrt, Evakuierung von 50 Haushalten.

 

Diese Liste, die nur einen kurzen und auch in sich nicht vollständig wiedergegebenen Zeitraum von wenigen Monaten der Jahre 2013 und Mitte 2014 umfasst, zeigt eindringlich die permanente und überall auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorhandene Gefahr. Damit wird die Belastung der betroffenen Bürger, aber auch Kommunen und Unternehmen zumindest nachvollziehbar. Und ebenso, dass die Kampfmittelproblematik kein Seltenheits-, sondern vielmehr ein sehr virulentes Thema ist.

Die Beträge, die insoweit im Zusammenhang mit Bombenfunden aufgewendet werden müssen, erreichen oft vielstellige Summen. Paradebeispiel dafür ist der Betrag von über 2,6 Millionen Euro, der vom Betreiberunternehmen für den Flughafen Berlin-Tegel im Zuge einer Kampfmittelsuche und Beseitigung ausgegeben werden musste[10].

Die Öffentlichkeit wird so sehr häufig mit dieser kaum vorstellbaren Problematik der versteckten und gerade deshalb besonders großen Gefahr, die von explosiven Kampfmitteln ausgeht, konfrontiert. Dennoch besteht hinsichtlich dieses „Kriegsmülls“, wie ihn Rosenberg[11] bezeichnet, ein Vakuum des Verstehens der Geschichte, das auch durch ein Labyrinth verschiedenartigster und teilweise unverständlicher Regelungen[12] herbeigeführt wird. Dies zeigt auch eine gewisse Beliebigkeit in der Verantwortungszuweisung[13] durch Gerichte.

Fakt aber ist: Nach Schätzungen liegen aktuell im Boden und in den Gewässern der BRD noch rund 100.000 Tonnen an Blindgängern, nachdem alleine im 2. Weltkrieg über 1,4 Millionen Tonnen an Bomben abgeworfen worden waren und die Experten je nach Bomben- bzw. Munitionstyp von etwa 5 – 20 % nicht erfolgter Zündungen ausgehen[14]. Es besteht damit – zumal etwa 1000 Städte und Orte in Deutschland bombardiert worden waren[15] – in jedem Grundstück und Gewässer, die in den Bombardierungsgebieten belegen sind, die Möglichkeit und damit Gefahr eines Kampfmittelfundes, verbunden mit tödlichen sowie weiteren schädlichen Folgen. Gleiches gilt an allen „Versteck-Orten“, die von den Soldaten der Deutschen Wehrmacht für das Lagern bzw. Vergraben von Kampfmitteln im Rahmen des Rückzugs bzw. der Flucht gewählt und später vergessen wurden[16].

Die Suche nach Verantwortlichen oder Haftenden und damit nach Anspruchsgrundlagen und -gegnern gestaltet sich aber schwierig.

Denn „Handelnde“ – als Personen – sind zumindest nach rund 7 Jahrzehnten nicht mehr feststell- bzw. rechtlich greifbar. Der Zeitlauf steht dem ebenso entgegen wie die Realität, wonach etwa die alliierten Kampfflieger, die Hunderttausende an Bomben ausgelöst hatten, ohnehin nicht haftbar gemacht werden könnten[17].

Was bleibt, ist die Frage nach einer Verantwortungszuweisung gegenüber dem Deutschen Reich in toto. Dieses führte Kriege, um „1000-jährig“ zu werden[18]. Damit ist die Ursache für die immer noch bestehende Kampfmittelproblematik eindeutig: Actio führt zu reactio, Krieg zu Gegenwehr und – wie die Geschichte gezeigt hat – Niederlage. Und in deren Folge kam es zu den bekannten „Bombenhageln“, aber auch sonstigen Kampfmitteleinsätzen, die zu unvorstellbar vielen Kontaminationen von Grundstücken mit zündfähigen Kriegswaffen führten, die immer wieder und noch auf lange Zeit Probleme bereiten. Ein besonderes Beispiel[19] soll der Verdeutlichung dienen: Am 15.9.1994 explodierte im Zuge von Spezialtiefbauarbeiten in der Pettenkoferstraße in Berlin-Friedrichshain eine 250 Kilo schwere Bombe. Ein Ankerstahl hatte beim Einbringen in eine Pfahlwand ca. 1,5 m hinter dieser und in ca. 3,5 m Tiefe den noch intakten Zünder getroffen und so die Explosion ausgelöst. In der Folge starben drei Bauarbeiter, weitere 17 Menschen, unter ihnen Passanten und Verkehrsteilnehmer, wurden zum Teil schwer verletzt und 20 Familien, deren Gebäude zerstört worden waren, mussten evakuiert werden. Der Schaden hierfür belief sich auf über 1.000.000 DM. Daneben entstanden viele Schäden an Fahrzeugen, Pflanzen und sonstigen Gegenständen, die sich im Umfeld der Baustelle befanden. Die Klage des Eigentümers eines Pkw, der durch herabfallende Trümmer einen Schaden in der Größenordnung von rund 2000 DM erlitten hatte, wurde mangels Verschuldens bei der Zündung der Bombe, die unerkannt und unerkennbar unter dem Keller eines benachbarten Gebäudes lag, abgewiesen[20]. Er hatte damit die Folgen der Explosion, obwohl völlig unbeteiligt, selbst zu tragen. Dies galt auch für umliegende Geschäfte, Restaurants und Büros, die Umsatzausfälle und damit Gewinneinbußen zu verzeichnen hatten.

Es handelte sich bei diesem Bomben-Unglück um eines der schwersten Fälle im Zusammenhang mit der unseligen Hinterlassenschaft des 2. Weltkrieges. Ein „Schuldiger“ dafür wurde jedoch zu keiner Zeit festgestellt. Und über eine Haftung der BRD wurde nicht näher nachgedacht.

[1] Rosenberg, Ausschreibungshinweise für Kampfmittelräumarbeiten, VOBaktuell 2.2014, S.5, l.Sp.;

[2] Vgl. § 8 Abs.3 bzw. § 8 EG Abs.3 VOB/A; § 1 Abs.1, Satz 2 VOB/B;

[3] Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Teil A in der Bekanntmachung vom 26.06.2012 (BAnz AT 13.07.2012 B3 (Abschn. 2 u. 3 vom 24.10.2011: BAnz 2011 Nr. 182a (ber. BAnz AT 07.05.2012 B1)) mit Wirkung vom 30.07.2012 ; Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauarbeiten – Teil  B in der Bekanntmachung vom 26.06.2012 (BAnz AT 13.07.2012) mit Wirkung vom 30.07.2012;

[4] Ausgabe 2012, Stand September 2012;

[5] S. Fn 1;

[6] Vgl. aus einer Vielzahl von Berichten z.B.: „Blindgänger explodiert im Ulmer Hauptbahnhof“ (Ulmer Merkur vom 10.09.2009, S.1); „Die tödliche Bedrohung liegt überall. Tausende Menschen noch gefährdet“ (www.bild.de/news/2010/goettingen/weltkriegsbombe-explosion vom 02.06.2010); „Weltkriegs-Granate steckte in Eiche. Blindgänger im Feuerholz – Kamin explodiert“ (www.focus.de/panorama/kriegsgeschoss-im-kamin-explosion vom 07.02.2014); „Erneut Fliegerbombe gefunden“ (Lüneburger Landeszeitung vom 16.06.2014 www.landeszeitung.de/blog-/lokales/172518-erneut-fliegerbombe-gefunden); “Riesige Detonation: US-Fliegerbombe in Leipzig gesprengt“ (Berliner Zeitung vom 12.06.2014, S.1); „Fliegerbombe aus dem Weltkrieg in Neustadt gefunden“ (Rhein-Zeitung vom 13.06.2014); „Die Bombe auf der Mercaden-Baustelle ist entschärft“ (Dorstener Zeitung vom 10.06.2014); s. auch die Zusammenstellung von „Bomben-Vorfällen“ der letzten Jahre, u.a. für Stuttgart, Karlsruhe, Nürnberg, Friedrichshafen, Kornwestheim, München, Rastatt, Freiburg, Koblenz, Asperg, u.a. unter www.stuttgarter-zeitung.de/thema/Fliegerbombe, Aufruf 16.06.2014).

[7] „Blindgänger explodiert in Euskirchen“ (Frankfurter Rundschau vom 03.01.2014); s. auch Zahn, Der Kampfmittelräumdienst der Freien und Hansestadt Hamburg, der auf S. 188 von über 40 Kindern berichtet, die in Hamburg kurz nach Kriegsende durch das Hantieren mit Kampfmitteln getötet wurden;

[8] Die Aufstellung ist auszugsweise aus Focus online, http://www.focus.de/-schlagwoerter/themen/Fliegerbombe/1/ (und folgende Seiten) (Aufruf 26.06.2014) entnommen; auf diesem Internetportal lassen sich über 50 Bombenfunde der letzten vier Jahre nachvollziehen, u.a. auch ein Beitrag zu einem Bombenfund in Berlin vom 25.4.2009 mit der Überschrift: „Fliegerbombe vertreibt Kanzlerin“ (Bombenfund Nähe Pergamonmuseum);

[9] Vgl. http://www.sueddeutsche.de/panorama/2.220/gesperrte-a-bei-frankfurt-am-main-bombe-reisst-krater-in-autobahn-1.2096093 (Aufruf am 31.08.2014);

[10] KG Berlin, Urteil vom 14.05.2009, Az: 8 U 106/08 = DÖV 2009, 828 = IMR 2009, 310;

[11] S. Fn 1;

[12] S. dazu unten die verschiedenen Rechtsvorgaben der 16 Bundesländer, S. 28 ff;

[13] Vgl. z.B. KG Berlin Urteil vom 14.05.2009, Az: 8 U 106/08 = IMR 2009, 310; s. auch VG Düsseldorf Urteil vom 09.06.1999, Az: 18 K 5731/97 = BauR 2000, 777 (Leitsatz) = NVwZ-RR 1999, 743 = NWVBl 1999, 470 = IBR 2000, 138;

[14] Vgl. Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., Kampfmittelmerkblatt, S.4 (März 2014); Zahn (Der Kampfmittelräumdienst der Freien und Hansestadt Hamburg) geht bei seinen Dar-legungen auf S. 188 von „ca. 12,5 %“ aller Bomben, die über Hamburg abgeworfen worden waren, als Blindgänger aus. Dazu gibt er folgende Zahl vor: Bei 107.000 Sprengbomben, 300.000 Phosphorbomben und über 3 Millionen (!) Brandbomben drangen etwa 425.000 Bomben bis zu zehn Meter tief in das weiche Erdreich ein „und blieben dort als schlummernde tödliche Gefahr liegen“; s. auch: Middlebrook / Everitt, The Bomber Command war diaries. An operational reference book 1939 – 1945;

[15] Wie vor;

[16] Zahn, der langjährige Leiter des Kampfmittelräumdienstes von Hamburg, schreibt dazu (s. Fn 14): „Bei der kampflosen Übergabe der Stadt wurde von den Soldaten der ehemaligen deutschen Wehrmacht und den Angehörigen des Volkssturms überall Munition zurückgelassen, in die tausendfach vorhandenen Bombentrichter geschüttet, vergraben oder in die Elbe, Bille oder Alster versenkt“;

[17] Dazu näher unten zur „Enthaftung“ der Allierten Mächte S. 102 ff.; Thilo, DÖV 1997, 725 (727 rSp) vermerkt dazu: „Hinsichtlich der von den alliierten Streitkräften abgeworfenen Bomben bzw. verschossenen Rohrmunition dürfte die Unmöglichkeit, auf ordnungsrechtlicher Grundlage Ersatz von einem Handlungsstörer zu erlangen, von vornherein feststehen. Nähere rechtliche Überlegungen hierzu erscheinen vor diesem Hintergrund als praktisch wertlos“;

[18] S. dazu auch: Götz, Hitlers Volksstaat. Frankfurt am Main 2005, S. 3 ff.;

[19] S. näher dazu: Berliner Zeitung vom 15.10.1994, online-Aufruf 11.11.2013 www.berliner-zeitung.de/archiv/20-ausgebombte-Familien-zogen-bisher-um/html; Berliner Zeitung vom 2.10.1996, S.4 (Wehe, der Sprengmeister kommt zu spät);

[20] AG Berlin-Mitte, Urteil vom 22.08.1995 – 11 C 255/95; bestätigt durch LG Berlin, Urteil vom 8.2.1996 – 51 S 403/95 (beide nicht veröffentlicht);